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Beispiel für ein radikales Reengineering und dessen Auswirkungen auf die vorher funktional gegliederte Organisation

Teamkonzept als Grundlage für die durchgängige Auftragsabwicklung

1. Ausgangslage

Die funktionale Gliederung der Arbeit nach dem Taylor´schen Prinzip und die darauf basierenden Organisationsformen haben die Industrie in den vergangenen Jahrzehnten geprägt und den Wirtschaftsnationen ein hervorragendes Wachstum beschert. Mit dem Wechsel von der Warenverteilung zur Kundenorientierung, mit dem Übergang von Hardwareversorgung zur Dienstleistung, mit der Notwendigkeit der Befriedigung von Kundenwünschen aus einer Hand hat diese Organisationsform jedoch mehr und mehr Nachteile aufgewiesen. Das Taylor´sche Prinzip der Arbeitsteilung, welches der funktionalen Orientierung zugrundeliegt, läßt nur eine bedingte Berücksichtigung der Kundenwünsche in der Auftragsabwicklung zu. Einziger Kontakt zum Kunden in der Abwicklungsphase ist die Person, welche die Anlage / Ware dem Kunden übergibt. Diese hat Versäumnisse, Mißverständnisse, Falschinterpretationen und Fehler in der gesamten Abwicklungsphase dem Kunden gegenüber zu vertreten. Jede im Abwicklungsprozeß vorgelagerte Tätigkeit / Person bekommt von den bei der Kundenübergabe ablaufenden Prozeduren nur wenig mit. Je weiter eine Funktion vom Ende der Kette entfernt ist, desto weniger erfährt diese von den Sorgen und Nöten des Kunden. Mit steigender Macht des Kunden - durch Lieferantenauswahl - wird diese bislang sehr schwach ausgeprägte Schnittstelle für das Überleben des Unternehmens immer wichtiger.

Optimierungsvorgänge laufen in derartigen funktional gegliederten Organisationen ausschließlich innerhalb einer Gruppe oder einer Abteilung ab. Die Bereichsziele werden optimiert. Der externe "Kunde" ist dabei meist zu weit weg, um in der Optimierung eine meßbare Beeinflussung auszuüben. Es wird nicht nach Kundenbedürfnissen optimiert, sondern nach Abteilungszielen. Eine Prozeßoptimierung im Zusammenwirken mit vorgelagerten oder nachgeordneten Bereichen findet ebenfalls nicht statt. Abteilungsegoismen prägen die Prozeßgestaltung.

Hier ein Umsetzungsbeispiel mit 60 - 100 Mitarbeitern: Die Logistik Export war in der Vergangenheit streng funktional orientiert und hierbei in Gruppen gegliedert. Wesentliche Funktionen:

Ergänzt wurden diese Funktionalitäten durch Projektplanung und -unterstützung sowie allgemeine Planungsaufgaben und Sonderaufgaben in Logistik, kommerzieller Abwicklung und Technik als Supportfunktionen.

Diese funktionale Orientierung der Organisation war in der entsprechenden Gruppenorganisation abgebildet. Eine Optimierung konnte in der Logistik Export innerhalb der Gruppen und auch mit mäßigem Erfolg innerhalb der Abteilung erreicht werden. Eine solche Optimierung hat sich zwar als hilfreich, jedoch nicht als ausreichend im Sinne einer ausschließlichen Kundenorientierung (Stärkung Nutzen für den Kunden) und vor allem einer verstärkten Prozeßoptimierung (Reduzierung interner Aufwendungen und Schnittstellen) erwiesen.
 

2. Prozeßorientierung und Auswirkungen auf die Organisation

Erfolgversprechender erschien uns in verschiedenen Workshops / Diskussionen mit Mitarbeitern / Gruppenleitern folgendes Vorgehen:

Ausgangspunkt war die Betrachtung von Prozessen in der Auftragsabwicklung. Ein Prozeß ist eine Reihung von aufeinanderfolgenden Aktivitäten, welche hier zielgerichtet auf die Erfüllung von Kundenwünschen orientiert ist. Klar definierter Eingang und Ausgang, exakt beschriebene Schnittstellen sowie Kriterien zur Prozeßqualität gehören zur Definition eines Prozesses, s.a. Abbildung 5, S. 9. In der ehemaligen Projekt- und Auftragssteuerung bzw. im Order Management werden unter anderem die folgenden Kernprozesse gesehen: Die Prozesse gem. Abbildung 1 sind beispielhaft für die kundenorientierten Vorgänge zu sehen. Die einzelnen Prozesse können sich aus beliebig vielen Subprozessen zusammensetzen, für welche jeweils die o.a. Kriterien gelten.

Kernpunkt unserer Betrachtungsweise ist es, daß der Prozeß im Mittelpunkt steht. Aus den Anforderungen des Prozesses wird die für seine Durchführung am besten geeignete Organisationsform gewählt. Im Vergleich dazu war in der funktional ausgerichteten Organisation zunächst die Optimierung innerhalb einer Abteilung oder Gruppe Hauptziel und erst dann die Zusammenarbeit mit anderen, vor- oder nachgelagerten Bereichen.

Mit einer prozeßorientierten Organisation läßt sich zudem die Wirkung unseres Tuns auf den Kunden in der gesamten Prozeßkette einfach abbilden. Zudem kann eine eindeutige Trennung von operativem Tun und Verantwortung für die Prozesse, mit welchen heute und "morgen" gearbeitet wird, erreicht werden.

Die Arbeitsweise einer funktional gegliederten Organisation läßt sich in Abbildung 2 gut erkennen. Im Prozeß der Auftragsrealisierung sind z.B. die Abteilungen bzw. Gruppen A, B, C und D beteiligt. Bisher wird der Prozeß abgewickelt, indem Aufgabenstellungen zwischen den Abteilungen / Gruppen hin- und hergegeben werden. Die sequenzielle Bearbeitung bedingt Informationsverluste an den Schnittstellen und Wartezeiten, wenn eine vorgelagerte Abteilung Kapazitätsprobleme hat.

Wird der Mitarbeiter der Abteilung B am Anfang des Prozesses Auftragsrealisierung so geschult, daß er die Arbeit der Abteilung A mit erledigen kann, so fallen dadurch Schnittstellen weg. Ebenso bleibt der Informationsfluß vollständig erhalten. Es müssen keine Informationen übergeben werden. Die Teilschritte können in eigener Verantwortung eines Mitarbeiters getaktet werden. Abstimmung mit anderen ist nicht mehr notwendig. Analog kann dieses für die Schritte C und D geschehen.
 

3. Ausbildung von Case Workern und Order Processing Teams

Wird dieser Ansatz weitergeführt, so ist der optimale Zustand erreicht, wenn 1 Mitarbeiter die gesamte Prozeßkette von Anfang bis Ende beherrscht (Begriff Case Worker). Daß dabei von einem Mitarbeiter weniger Aufträge parallel bearbeitet werden können, stört den Ansatz nicht, sondern stärkt die Kundenbeziehung. Weiterer Effekt: Eindeutige Verantwortlichkeit: 1 Person = 1 Auftrag. Es muß nicht mehr wie bisher in mehreren Abteilungen geforscht werden, in welchem Zustand sich ein Auftrag gerade befindet.

Als Zwischenzustand zum Case Worker ist die Bildung von Teams zu sehen. In diesen Order Processing Teams (Abwicklungsteams) sind Vertreter der bisherigen Gruppen und Abteilungen zusammengefaßt, siehe Abbildung 3.

Die räumliche Zusammenführung von Mitarbeitern aus den bisher separaten Bereichen intensiviert im ersten Schritt die Zusammenarbeit und Kommunikation. Im zweiten Schritt findet durch gegenseitige Vertretung im jeweils anderen Arbeitsgebiet ein On-the-Job Training statt. Begleitet wird dies durch Schulungen in allen Arbeitsgebieten.

Wir sehen die optimale Zusammensetzung des Order Processings im Order Management im wesentlichen in Teams, in einigen Case Workern und einigen wenigen Spezialisten für Sonderthemen und zur Unterstützung der Kollegen. Dadurch werden alle notwendigen operativen Tätigkeiten abgedeckt. Die Führungsstruktur hinsichtlich Ressourcenmanagement (Mitarbeitereinsatz und Aus- sowie Weiterbildung) und Prozeßentwicklung wird in Kap. 5 beschrieben.

Da ein Case Worker sowohl technische, logistische als auch kommerzielle Kenntnisse haben muß, bedingt dies intensive Schulungen. Dabei sind die bisherigen Schwerpunktkenntnisse für die jeweiligen Nachbarbereiche auszubauen. Ein Case Worker muß allerdings keine Spezialkenntnisse in allen Teilbereichen des Prozesses aufweisen, sondern in der Lage sein, die Regelvorgänge abzudecken (80%) und im Zweifelsfall Rat und Tat bei den Spezialisten zu holen. Für die Teammitglieder in den Order Processing Teams sind ebenfalls intensive Schulungen notwendig, diese brauchen jedoch nicht so umfangreich zu sein.

Mit heutigem Stand sind 11 Order Processing Teams gebildet und arbeiten selbständig. Die Teams sind den einzelnen Geschäftsbereichen zugeordnet. Als ideale Teamgröße hat sich eine Mitarbeiterzahl zwischen 3 und 5, maximal 6 erwiesen. Nach unserer Erfahrung hat sich dieses Konzept als tragfähig und effizient erwiesen.
 

4. Auswirkungen auf die bisherige Gruppenstruktur

Durch die Verbreiterung der Arbeitsbereiche der einzelnen Mitarbeiter in den Order Processing Teams wird die bisherige Gruppen- und Abteilungsorganisation überflüssig. Übernimmt ein Mitarbeiter aus der bisherigen Gruppe A Aufgaben der Gruppe B, hätte er in diesem Fall zwei fachliche Vorgesetzte in der herkömmlichen Gruppenstruktur. Zwangsläufig hat ein Mitarbeiter eine wesentlich breitere Basis von Prozeßkönnen als sein "Gruppenvorgesetzter". Die Funktion der Auslastungssteuerung durch den Gruppenleiter kann damit nicht mehr ausreichend funktionieren. Dies ist bei Weiterführung des Prozesses der Ausbildung von Case Workern oder starken Teams negativ und hinderlich.

Die Auslastungssteuerung in den Teams muß von den Teammitgliedern eigenverantwortlich vorgenommen werden. Gegenseitige Vertretung und Abwesenheitszeitmanagement ist Sache des Teams. Ebenso sind die Teammitglieder für die Erreichung ihrer operativen Ergebnisse im Rahmen von Regelvorgängen selbst verantwortlich. Dies war früher die Aufgabe ihrer Gruppenleiter!

Die Verantwortungen für das operative Geschäft und für die Ressourcenzuordnung über die Selbststeuerung der Teams hinaus sowie für die Prozeßgestaltung muß deshalb neu definiert werden.
 

5. Neugestaltung der Verantwortungen

Die Verantwortung für das operative Geschäft liegt jetzt bei den Mitarbeitern in den Order Processing Teams selbst. Diese sprechen die zu erbringenden Leistungen mit ihren "Kunden" ab (hier meist interne Kunden wie Projektleiter etc.). Zielerreichung und Abweichungen werden direkt geklärt. Dies führt zu einem höheren Grad von Eigenverantwortung gegenüber der bisherigen Abteilungs- / Gruppenstruktur. Teile der Verantwortung des bisherigen Gruppenleiters gehen an die Teams über. Dies sind im wesentlichen die Aspekte der Arbeitsverteilung und Kontrolle der Zielerreichung in aktuellen Vorgängen. "WAS" für einen Auftrag getan wird und "WANN" dieses geschieht, regeln die Teammitglieder selbst und haben hier direkten Kontakt mit der Stelle, für die sie arbeiten. Das "heutige" Geschäft wird hier abgewickelt.

Unsere Erfahrung: Die Teammitglieder sind im Team gleichberechtigt. Ein "Primus inter Pares" ist nicht notwendig. Jedes Teammitglied bildet einen eigenen Kanal zum jeweiligen Projekt und verantwortet die von ihm bearbeiteten Vorgänge selbst. Das ist neu.

Die Verantwortung für den Einsatz der Mitarbeiter - welcher Mitarbeiter gehört zu welchem - sowie für die Aus- und Weiterbildung liegt nicht in den Teams. Ebenso ist die Verantwortung für die Gestaltung der Prozesse und für die Weiterentwicklung sowie die Schnittstellengestaltung nicht Sache der Order Processing Teams. Dies muß vielmehr übergreifend über alle Teams geschehen. Die Grundlage für das "morgige" Geschäft wird hier gelegt.

Dazu wurde ein "Ressourcen- & Prozeßmanagement-Team" gebildet "POT" oder "Process Owner Team"  Dieses Team bildet die Führungsstruktur des Order Processings. Die einzelnen Mitglieder dieses Teams haben die Verantwortung für einzelne Teilprozesse, die Kernprozesse des Order Managements. Gemeinsam sorgen sie für den Mitarbeitereinsatz in den einzelnen Teams. Dies verdeutlichen die Abbildungen 4 und 5.

Die Mitglieder des "Ressourcen- & Prozeßmanagement-Teams" greifen nicht in das operative Geschäft ein. Die Abstimmung über die Erreichung der operativen Ziele erfolgt direkt zwischen den Mitgliedern der Order Processing Teams und den jeweiligen "Kunden" aufgrund von Rahmenvorgaben. Erst wenn ein Teammitglied aufgrund von nicht im Team abgedeckten Ressourcenkonflikten oder aufgrund von fehlendem fachlichem Können oder Wissen die abgestimmten operativen Ziele zu erreicht, schaltet sich das Führungsteam ein.

Von einer ursprünglich diskutierten Ausbildung von "Paten" für Teams haben wir gemeinsam Abstand genommen. Der direkte Kontakt zwischen Vertretern des "POT" und den Order Processing Teams hat sich als effizient für die Steuerung erwiesen.

Resource + Process Management and Order Processing Teams




6. Führungsverhalten und Konfliktmanagement

Für den konstruktiven Dialog zwischen den Mitarbeitern in den Order Processing Teams und den Mitgliedern des "Ressourcen- & Prozeßmanagement-Teams" hat es sich als unbedingt notwendig erwiesen, daß beide direkt an das Order Management berichten. Dies ist die erste Eskalationsebene für Konflikte.

Im Gegensatz zur bisherigen Gruppen- / Abteilungsstruktur erfolgt eine Führung nicht mehr durch eine hierarchische Struktur oder aufgrund einer Position z.B. eines Gruppenleiters. Vielmehr erfolgt die Führung der Order Processing Teams durch fachliche und persönliche Kompetenz der Mitglieder des "Ressourcen- und Prozeßmanagement-Teams". Im Gegenzug müssen die Order Processing Team-Mitglieder als Sensoren wirken und Schwächen in den Prozessen sofort lokalisieren und zur Klärung weiterleiten.

7. Effekte und Synergien

Nach grober Abschätzung führt dieses Konzept einer Abwicklung durch Teams zu mehr Effizienz. Mehr Aufträge werden von weniger Mitarbeitern abgewickelt. Die verminderte Anzahl von Ansprechpartnern in der Auftragsabwicklung ist in den Projekten bereits positiv vermerkt worden. Gewöhnungsbedürftig ist für einige Mitarbeiter noch die Übernahme der Eigenverantwortung gegenüber den Projekten. Gerade im persönlichen Bereich ist noch Unterstützung notwendig.

Ebenso sind weniger Führungskräfte im Einsatz.

Durch die Etablierung gleicher Abwicklungsprozesse können Mitarbeiter zwischen den Teams ausgetauscht werden, ohne sich in die bisher jeweils anderen Verfahren einarbeiten zu müssen. Lediglich auftragsspezifische Daten müssen übernommen werden. Dadurch ist ein sehr flexibles Arbeiten möglich. Ebenso sind Engpaßsituationen durch singuläre Know-How Träger in der Prozeßkette ausgeschlossen.
 

8. Fazit

Die nach intensiver Vorarbeit begonnene Umstellung der bisherigen Gruppenstruktur auf eine prozeßorientierte Teamarbeit hat sich nach unserer Meinung positiv entwickelt und bereits bewährt. Die Grundprinzipien "Operative Verantwortung in den Teams" und "Personalzuordnung und Prozeßgestaltung im Führungsteam" sind akzeptiert. Die Teamstrukturen arbeiten stabil. Die Aufgabenbeschreibungen der beiden Funktionen sind gegenseitig anerkannt und werden gelebt. Problematisch in der deutschen Tariflandschaft ist die Frage der Entlohnung von Mitarbeitern in Teamstrukturen. Die Findung der Grundgehälter ist aufgrund von Arbeitsplatzbeschreibungen möglich. Offen ist die Gestaltung der Leistungsbeurteilung für die Mitarbeiter in den Teams.
 
 

Soweit zu diesem Experiment, das in der hier beschriebenen Form eingeführt wurde. Grundprinzipien dieses Konzept haben die nachfolgenden Organisationsänderungen überlebt und bestehen heute noch. Dies beweist - drastisch ausgedrückt - dass in der heutigen Industrie durchaus ein Sieg der Vernunft über Abteilungsegoismen (Macht, Abschottung, Verfügungsgewalt über eigene Funktionen) möglich ist - sofern der Druck aus der notwendigen Kundenorientierung für das Unternehmen hoch genug ist.
 

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